Smartes Arbeiten und die Zukunft des Arbeitsplatzes
Ist die Corona-Pandemie ein Todesurteil für das Büro, wie wir es kennen? Wahrscheinlich nicht. Aber sie beschleunigt den Trend zu mehr Dezentralisierung und mehr flexiblem Arbeiten, so der britische Arbeitsplatzberater Andy Lake. Außerdem wirft er die Frage auf: Wofür ist der Arbeitsplatz da?
Der britische Arbeitsplatzberater Andy Lake veröffentlichte 2013 sein Buch „Smart Flexibility“. Seitdem hat er intensiv mit großen Organisationen zusammengearbeitet, um sie bei der Modernisierung von Arbeitsmethoden und Arbeitsplätzen zu unterstützen. Außerdem erstellte er die Leitlinien für „Smartes Arbeiten“ für die britische Zentralregierung und die Britischen Standards „PAS 3000: 2015“ - „Smartes Arbeiten Verhaltenskodex“. Darüber hinaus hat er mit der europäischen Kommission für das Programm „Büro der Zukunft/ Office of the future“ zusammengearbeitet.
Auf die Frage nach „smartem Arbeiten“ spricht Andy Lake nicht nur über Arbeitspraktiken, sondern auch über Arbeitsplätze.
„Beim Smarten Arbeiten geht es um die Modernisierung der Arbeitspraxis mit neuen Technologien und neuen Arten von Arbeitsplätzen. Im Fokus steht der Einsatz von Arbeitsmethoden, die auf Vertrauen basieren und sich an den Ergebnissen orientieren. Smartes Arbeiten ist der Versuch, alles flexibler und dynamischer zu gestalten. Es geht aber nicht allein um neue Technologien und neue Arbeitsplatzgestaltungen. Entscheidend ist die komplette Änderung der Herangehensweise von dem, was man tun kann.“
Brauchen wir gemeinsame Arbeitsplätze?
Die rasante Entwicklung neuer Technologien und die Digitalisierung, die alle Aspekte der Gesellschaft betrifft, machen hinsichtlich Organisation und Arbeitspraxis fast alles möglich. Gibt es also einen Paradigmenwechsel, der vom Arbeitsplatzfokus zu einer prozess- und praxisorientierten Diskussion übergeht, die nicht an bestimmte Räumlichkeiten gebunden ist?
„Als sich das aktuelle Modell des Arbeitsplatzes im 20. Jahrhundert entwickelte, war es von großem Wert, sich auf Menschen, Ressourcen, Dokumente usw. zu konzentrieren. Aber in der digitalen Welt liegt der Mehrwert in der Dezentralisierung, der Verlagerung der Arbeit zu den Menschen, und der Dematerialisierung, bei der Produkte zu Dienstleistungen werden. In diesem Kontext können Menschen auf viele verschiedene Arten arbeiten. Das wirft wiederum die Frage auf, warum man überhaupt an den Arbeitsplatz kommen sollte. Das sind grundlegende Fragen. Ein Großteil der Wissensarbeit kann überall geleistet werden, genauso wie sich ein Großteil der Zusammenarbeit zunehmend virtuell gestalten lässt. Also wofür brauchen wir den Arbeitsplatz überhaupt? Es gibt Organisationen wie WordPress mit einem Umsatz von Hunderten von Millionen Dollar, die über die ganze Welt verteilt sind, aber kaum Räumlichkeiten nutzen.“
Andere Räume als Büros
Aber Andy Lake glaubt nicht an den Untergang des Büros. Er ist, wie wahrscheinlich die meisten von uns, überzeugt, dass wir in gewissem Umfang immer noch zusammenkommen müssen. Das Arbeitsplatzkonzept, das sich im Industriezeitalter entwickelt hat, verblasst jedoch, sagt er.
„Das wirft für mich die große Frage auf: Was ist die soziale Infrastruktur der Arbeit überhaupt? Die Leute im "Arbeitsplatzgeschäft" neigen dazu, sich nur auf das Büro zu konzentrieren. Ich meine, wenn viele Menschen von zu Hause aus oder in Cafés arbeiten, was ist dann mit diesen Räumen? Wie sollten sie gestaltet und unterhalten werden? “
Andy Lake fordert eine Diskussion darüber, wie wir andere Orte, öffentliche Räume und auch das Zuhause gestalten können, um die Arbeitsfähigkeit unterstützen.
"Ich denke, es ist ein großes politisches Problem, dem Trend immer kleinerer Wohnungen zu begegnen. Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ist in den meisten modernen Wohnräumen nicht ausreichend gegeben. Wenn Sie beispielsweise ein Geschäft führen und Besucher empfangen wollen, fehlen die passenden Räumlichkeiten. Für Mehrfamilienhäuser könnten lokale Arbeitszentren im Gebäude in Betracht gezogen werden. Ich denke, dass die in Städten entstehenden Co-Working-Spaces ein Teil dieser sich verändernden Infrastruktur sind, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Und sowohl die politischen Entscheidungsträger als auch die Entwickler müssen aufholen.“
Wenn viele Menschen von zu Hause aus oder in Cafés arbeiten, was ist dann mit den Büroräumen? Wie sollten sie gestaltet und unterhalten werden?
Corona wird ein Katalysator sein
Dieses Interview fand Ende Mai 2020 statt, als mitten in der Coronapandemie Länder auf der ganzen Welt nach der ersten Phase des Lockdowns die Gesellschaft allmählich wieder öffneten. Twitter hatte gerade erklärt, dass die Mitarbeiter für immer von zu Hause aus arbeiten dürfen, wenn sie es möchten. Andy Lake nimmt an, dass die Coronapandemie der Auslöser dafür sein könnte, die Entwicklung völlig neuer Arbeitspraktiken voranzutreiben.
„Ich glaube, die Pandemie hat das Denken und die Einstellungen der Menschen verändert. Traditionell hat es immer viel Widerstand gegen diese Entwicklungen gegeben, begründet durch die Auffassung, dass persönliche Treffen notwendig sind, dass wir die Mimik und Gestik sehen müssen. Aber das ändert sich gerade. Die Menschen merken, dass jetzt noch viel mehr möglich ist. Das gibt dem Trend der Dezentralisierung einen großen Schub. Ich glaube Twitter ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Es ist ganz sicher so, dass smart arbeitende Organisationen viel besser darauf vorbereitet waren, sich auf zunehmende Fernarbeit einzustellen."
Mehr Außenstellen
Derzeit beeinflusst die Pandemie unsere Büros durch die Notwendigkeit sozialer Distanz und geringerer Personendichte. Andy Lake sieht das als Übergangsstadium, geht aber von dauerhaften Veränderungen infolge der Coronapandemie aus.
„Ich glaube, dass sich die Menschen Möglichkeiten wünschen werden, in viel größerem Umfang im Freien oder in halboffenen Räumen zu arbeiten. Und es wird mehr und bessere Konferenztechnologien geben mit größeren Bildschirmen und leistungsfähigeren audiovisuellen Systemen. Die meisten Organisationen sind in dieser Hinsicht im Rückstand und die Mitarbeiter haben Probleme bei der Fernkommunikation – sei es technikbedingt oder, weil die Dynamik bei Meetings von den Personen ausgeht, die physisch anwesend sind.“
„Mit der Zeit wird sich das Bürodesign an deutlich kleinere Büros anpassen, die intensiver genutzt werden, aber mit weniger Angestellten als bisher. Ich denke, dass sich diese Veränderungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren durchsetzen werden.“
Ich glaube, dass sich die Menschen Möglichkeiten wünschen werden, um in viel größerem Umfang im freien oder in halboffenen Räumen arbeiten zu können.
Gute Akustik ist einer der Schlüssel
Laut Andy Lake spielen auch akustische Aspekte eine zentrale Rolle, um diesem neuen, dezentralisierten und dematerialisierten Kontext des smarten Arbeitens gerecht zu werden.
„Unser Ziel, die Schaffung hervorragender Orte für smartes Arbeiten und gute Akustik, ist einer der Schlüssel zum Erfolg. Für gewöhnlich wird das bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen vernachlässigt und es gilt immer noch als eine Art von Luxus. Immer wieder sehe ich Arbeitsplätze mit schlechter Akustik, bei denen anschließend nachgebessert werden muss, um die Probleme zu lindern. Aber das ändert sich gerade. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass Menschen ihre akustische Umgebung kontrollieren können. Das Design muss sich hin zu Räumen entwickeln, die für verschiedene Arten von Aktivitäten mit unterschiedlichen sensorischen Umgebungen geeignet sind, in denen die Menschen Entscheidungen treffen können, die sowohl der Aktivität als auch ihren persönlichen Vorlieben entsprechen.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir wahrscheinlich auch in Zukunft noch zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto oder mit dem Pendelverkehr in unsere Büros fahren. Aber wir werden es zu verschiedenen Zeiten, in unterschiedlicher Anzahl und mit verschiedenen Absichten tun. Das Klischee des Geschäftsmannes mit seinem Büro in der Tasche wird wohl noch eine Weile ein Klischee bleiben.
"Das Büro ist noch nicht ausgestorben – aber es wird immer vielfältiger und öffnet seine traditionellen Grenzen", resümiert Andy Lake.
Text: Lars Wirtén
Text ins Deutsche: Volker von Baczko, Consultant for Room Acoustics bei Ecophon Deutschland