Akustik auf dem Prüfstand: Wie schlecht ist mein Klassenzimmer?
Eine schlechte Raumakustik gefährdet in vielen Lehreinrichtungen den schulischen Erfolg. Auch wirkt sie sich negativ auf das Gemüt und die Gesundheit aller Betroffenen aus. Dabei sind gerade nach der Rückkehr in den Präsenzunterricht bestmögliche Arbeits- und Lernbedingungen besonders wichtig, um die pandemiebedingten Lernrückstände aufzuholen. Erfahren Sie hier, wie Sie die Akustik in Ihren Unterrichtsräumen einfach testen und welche weiteren Schritte gegebenenfalls nötig sind.
3 Schritte für eine schnelle Beurteilung von Unterrichtsräumen
Moderne Pädagogikkonzepte verbinden Phasen der Konzentration und Regeneration mit vielfältigen Angeboten zur Bewegung und Entfaltung. Schüler:innen sollen aktiv und eigenverantwortlich benötigte Fähigkeiten erlernen, was gelingt, wenn auch das unmittelbare Umfeld baulich und gestalterisch auf die jeweiligen Anforderungen abgestimmt ist. Bedarfsgerecht ausgestattete Klassenzimmer, offene Lernbereiche und andere Unterrichtsräume werden deshalb häufig als „dritter Erzieher“ bezeichnet.
In vielen Schulen ist es schlichtweg zu laut
Der Raumakustik kommt in diesem Zusammenhang eine tragende Rolle zu: Denn sie ist maßgeblich für eine ruhige und konzentrierte Arbeitsatmosphäre, für die Sprachverständlichkeit und damit letztlich ein wesentliches Kriterium für den Lernerfolg. Leider aber klaffen Anspruch und Wirklichkeit oft weit auseinander, wie es das von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) beauftragte Forschungsprojekt „Lärm in Bildungsstätten“ belegt. Demnach sind in vielen Klassen Schalldruckpegel zwischen 65 und 95 dB(A) zu verzeichnen, in Turnhallen teils sogar 100 dB(A) und mehr. Das sind Werte, die oft nicht einmal herkömmliche Rasenmäher im Betrieb erreichen und die dauerhaft zu gesundheitlichen Langzeitschäden führen können.
Das Ende der Fahnenstange dürfte damit aber noch nicht erreicht sein. Immer mehr technisches Equipment in den Klassenzimmern oder auch die pandemiebedingt gestiegenen Anforderungen ans Lüften bewirken eine stetige Zunahme an Hintergrundgeräuschen. So identifiziert das aktuelle Gutachten des Grundschulverbands (GSV) Lärm als allgegenwärtigen Belastungsfaktor – für Schüler:innen, aber natürlich auch für Lehrer:innen, deren Stimme in einem schlechten akustischen Umfeld besonders leidet. Negative Folgeerscheinungen sind Stress, Erschöpfungszustände und letztlich auch ein erhöhter Krankenstand. Gerade im Hinblick auf den bestehenden Lehrermangel, die Rückkehr in den Präsenzunterricht und den damit verbundenen Aufholbedarf an Lernstoff ist es daher sinnvoll, sich die eigene Arbeitssituation genau zu vergegenwärtigen.
Wann besteht Handlungsbedarf?
Ständige Hintergrundgeräusche und ein permanentes Unruhegefühl, bedingt etwa durch kontinuierlich hörbares Scharren mit den Füßen, klappernde und knarzende Tische und Stühle, sind Indikatoren für eine unzureichende Raumakustik. Auch wenn es beim Sprechen zischt und dröhnt, Schüler:innen in den hinteren Reihen kaum zu verstehen sind und Lehrer:innen sich bereits in den ersten Schulstunden heiser fühlen, weil sie ihre Stimme überanstrengen, besteht dringender Handlungsbedarf.
In vielen Unterrichtsräumen dominieren nämlich immer noch harte, schallreflektierende Oberflächen: Sie befördern nicht nur den Geräuschpegel, sondern auch die Halligkeit. In der Folge kommt es zum so genannten Lombard-Effekt: Schüler:innen und Lehrer:innen passen ihre Stimmen entsprechend ihrer Umgebung an und sprechen in einem lauten Umfeld unwillkürlich auch selbst immer lauter, was vor allem auch bei Projektarbeiten und im Cluster-Unterricht ein großes Problem ist.
Schnell und aussagekräftig: Akustik-Prüfung in 3 Schritten
- Raumakustik untersuchen: Klatschen Sie im leeren Klassenraum in die Hände oder bitten Sie Kolleg:innen darum, einen Luftballon in ein paar Metern Entfernung zerplatzen zu lassen: Ist ein deutlicher langer Nachhall zu hören, werden die Anforderungen der anerkannten technischen Regelwerke DIN18041:2016-03 und ÖNORM B 8115-3 aller Voraussicht nach nicht erfüllt.
- Unterricht beobachten: Nimmt der Lärmpegel während Gruppenarbeitsphasen stetig zu und wird es in der Klasse im Tagesverlauf immer lauter, ist das ein Indiz dafür, dass die Unterrichtsqualität vor allem durch den oben beschriebenen Lombard-Effekt deutlich leidet.
- Auf den Körper hören: Fühlen Sie sich als Lehrer:in bereits nach wenigen Schulstunden ausgelaugt, müssen Sie sich häufig räuspern und schmerzt der Hals, weist auch das auf eine unzureichende Raumakustik hin.
Wirksame Akustikmaßnahmen einleiten
Im nächsten Schritt bietet es sich an, dass Lehrkräfte und Schulleitung gemeinsam mit dem Schulträger ein durchdachtes Akustikkonzept anstoßen. Im Sinne eines integrativen Ansatzes ist es sinnvoll, Architekt:innen und Planer:innen möglichst frühzeitig in das Projekt einzubeziehen: Nur so nämlich lässt sich sicherstellen, dass passgenaue Lösungen für akustisch wirksame Flächen gefunden werden, die auch mit anderen bautechnischen Anforderungen (z. B. Brand- und Wärmeschutz, technische Ausstattung) harmonieren.
Hilfreich sind zudem offizielle Regelwerke und Leitfäden. So etwa hat die die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung mit der DGUV Regel 102-601 „Branche Schule“ im Jahr 2019 ein leicht verständliches Kompendium veröffentlicht, das raumakustische Maßnahmen und Zielwerte für diverse Nutzungstypen in Schulen vorgibt. Denn je nachdem, ob es sich um Klassenzimmer, Projekträume, Pausenhallen, Mensen oder andere Gebäudeteile handelt, bedarf es individueller Herangehensweisen und Produktanwendungen.
Passende Akustiklösungen finden
Raumübergreifend lassen sich die DGUV-Maßgaben in der Regel jedoch nur durch die Kombination von höchstabsorbierenden Materialien an Decken und Wänden erreichen. Neben Akustikdecken bedarf es in Klassenzimmern beispielsweise Wandabsorbern an idealerweise zwei aneinander liegenden Wänden. Bestenfalls gliedern sie sich funktional und ästhetisch ins Raumkonzept ein, indem sie beispielsweise auch als Pinnwand dienen. Aufgrund der hohen Lärmbelastung in Schulen sind generell nicht brennbare Produkte/Materialien mit einem bewerteten Absorptionsgrad von αw = 0,9 oder höher ratsam – das entspricht der höchsten sogenannten Absorptionsklasse A (DIN EN ISO11654).
Text: Holger Brokmann, Geschäftsführer des Vereins Lernen statt Lärmen e.V.
Lernen statt Lärmen e. V. | Taschenmacherstraße 8 | D-23556 Lübeck